Die ersten jüdischen Menschen kamen im 13. Jahrhundert nach Dzierżoniów (Reichenbach im Eulengebirge). Die neugegründete jüdische Gemeinde war der benachbarten und weitaus größeren Gemeinde in Świdnica unterstellt [1.1].
Unter Herzog Bolko I. wurde die jüdische Bevölkerung 1295 aus der städtischen Jurisdiktion herausgenommen und unterlag seitdem der Jurisdiktion des Hofes, weswegen sie direkt dem Herzog unterstanden. Daneben verfügte die Gemeinde aber auch über ein eigenes Gericht, welches bei Angelegenheiten zwischen den Mitgliedern der Gemeinde urteilte und bis 21. März 1370 aktiv war. Die Herzogin Agnieszka übergab daraufhin dem Rabbiner Oser (Judenbischof) sowie Lazar und Dawid Falk aus Świdnica das Privileg eines unabhängigen Gerichtswesens für die ganze jüdische Gemeinschaft im Herzogtum. Zuvor bestätigte am 6. Dezember 1328 der Herzog von Świdnica, Bolko II., alle bisherigen Rechte der jüdischen Bevölkerung und verpflichtete sie zu den gleichen Abgaben und Pflichten wie die Menschen christlichen Glaubens. Im Jahr 1363 verlieh Bolko II. erst Świdnica und danach allen anderen Städten des Herzogtums, darunter auch Dzierżoniów, diverse Statute und das Magdeburger Recht, welche zugleich die Stadtordnung darstellten. Neben den allgemeinen Gesetzen befanden sich dort auch Bestimmungen bzgl. der jüdischen Einwohnerschaft.
Jüdische Menschen beschäftigten sich im Mittelalter vorrangig mit Einzel- und Großhandel, Handwerk und Geldverleih. In der Stadtchronik befindet sich ein Eintrag, in dem es heißt, dass sich die Ratsherren und die Bürgermeister der Städte Dzierżoniów, Ziębice, Strzelin sowie Ząbkowice Śląskie am 18. Oktober 1333 vom Breslauer Juden Jakub eine Summe von 160 Griwna liehen, für die sich die Ratsherren von Breslau verbürgten. Die Zinsgeschäfte der Juden führten zur Missgunst der Schuldner, oftmals aber auch der ganzen Stadtbevölkerung, was zu Aufständen und Tumulten führen konnte. Zu allem Übel begann zu dieser Zeit, als die antijüdische Stimmung anstieg, der Schwarze Tod in Europa zu wüten und dezimierte die Bevölkerung. Dies führte zu einer Welle antisemitischer Exzesse, die vor allem die deutschsprachigen Länder und Städte betraf, darunter auch Niederschlesien. Pogrome in Breslau fanden 1349 und 1360 statt, 1389 auch in Świdnica. Dies hatte sicherlich auch Auswirkungen auf die Lage der jüdischen Bevölkerung in Dzierżoniów.
Zwischen den Unruhen versuchten jüdische Menschen normal zu leben. Sie suchten nach sicheren Orten zum Leben und Handeln. Im Jahr 1395 erhielten jüdische Händler, die in Dzierżoniów auf der Durchreise waren, dank ihres Glaubensbruders Semen ein wertvolles Privileg, welches ihnen erlaubte ohne Zollabgaben die Stadt zu passieren. Das Privileg erlosch jedoch nach Semens Tod. Er selbst zog von Dzierżoniów nach Brzeg, nachdem er am 23. Dezember 1398 einen Geleitbrief von Heinrich VIII. erhalten hatte. Aus den Chroniken des 14. und 15. Jahrhunderts erfahren wir nur wenige Namen jüdischer Menschen in Dzierżoniów. Unter ihnen befindet sich der bereits angesprochene Semen, die in Breslau lebenden Jakob und Jonas von Reichenbach sowie Manil (Mendel) von Reichenbach, bei dem sich der Herzog von Ziębice verschuldete. Erwähnt wird auch Michel von Reichenbach, der sich Ende des 14. Jahrhunderts in Oława niederließ, wo er Bischöfen und Herzögen Darlehen gewährte. Michel von Reichenbach, der am 10. April 1426 verstarb, wird als Rabbiner von Erfurt und Breslau bezeichnet. Er soll 1417 in Kąty Wrocławskie gelebt haben. Dabei ist aber nicht sicher, ob es sich hierbei um das niederschlesische Reichenbach (Dzierżonów) oder eine andere Ortschaft mit dem gleichen Namen handelt. Die jüdische Gemeinde in Dzierżonów verfügte im 14. Jahrhundert über keinen eigenen Friedhof, weswegen sie den in Świdnica nutzen musste, der um das Jahr 1289 angelegt wurde. Die Herzogin Agnieszka beschloss in ihrem Schutzbrief vom 21. März 1370, dass die Nekropole in Świdnica der einzige Friedhof im ganzen Herzogtum bleiben sollte.
Eine weitere Repressionswelle gegen die jüdische Bevölkerung Niederschlesiens erfolgte im 15. Jahrhundert. Am 13. Februar 1453 kam der italienische Prediger, Inquisitor und spätere Heilige Johannes Capistranus nach Breslau. Seine Predigten führten zu Aufständen gegen die jüdische Gemeinschaft in der Stadt, woraufhin es zu einem Schauprozess kam, bei dem 41 der jüdischen Menschen Breslaus zum Tode verurteilt wurden. Die verbliebenen Mitglieder der Gemeinschaft wurden vertrieben, ihr Eigentum konfisziert. Kinder unter 7 Jahren wurden ihren Familien weggenommen, getauft und an christliche Familien abgegeben. Dies führte zum Zerfall der jüdischen Gemeinde in Breslau und initiierte Pogrome in anderen schlesischen Städten. In Świdnica wurden die wichtigsten Vertreter der Gemeinde festgehalten und gefoltert, um ein Geständnis über die Schändung von Hostien zu erzwingen. Infolgedessen wurden in aller Öffentlichkeit 10 Männer und 7 Frauen, allesamt Mitglieder der jüdischen Gemeinde, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Der Rest wurde aus der Stadt verbannt, ihr Eigentum konfisziert und selbst der Friedhof ging in den Besitz der Stadt und der Kirche über. Auch in Dzierżoniów griff die empörte christlichen Bevölkerung in einer Juninacht die örtliche jüdische Gemeinschaft an. Ihre Opfer wurden – laut dem Chronisten – aus ihren ärmlichen Häusern durch die Stadttore vertrieben.
Infolge dieser Ereignisse hörte die jüdische Gemeinde in der Stadt auf zu existieren. Ein Neuanfang war durch das vom tschechischen König Ladislaus Postumus 1457 erlassene Privileg nicht möglich, da dieses jüdischen Menschen „über alle Zeit“ verwehrte, sich in schlesischen Städten niederzulassen. Es war ihnen demnach nur temporär gestattet in Schlesien zu verweilen, so etwa bei Jahrmärkten oder Wochenmärkten. Es kam vor, dass jüdische Geflüchtete, die vor den Pogromen in anderen Städten des damaligen Europas flohen, durch Dzierżoniów reisten. Im Jahre 1542 waren rund 300 jüdische Menschen auf der Straße zwischen Prag und Polen auf der Flucht. Zwischen Kłodzko und Dzierżonów wurde ihnen eine Eskorte aus 146 bewaffneten Männern zugesprochen. Doch es wurde ihnen verwehrt, für längere Zeit an diesem Ort zu verweilen.
Anfang des 18. Jahrhunderts versuchten jüdische Menschen sporadisch sich auf dem Gebiet der Stadt sowie in der Umgebung niederzulassen. Bekannt ist der Fall von Baron Gotliev von Sandratzki, dem Inhaber eines bedeutenden Landgutes unweit von Bielawa, der 1707 einem Juden ein Haus vermietete. Der Baron wurde jedoch gezwungen, das geltende Recht zu achten. Dieses Ereignis wurde in Quellen aus dem Jahr 1708 verzeichnet. In den Dokumenten befindet sich auch eine Anfrage des Magistrats vom 5. August 1777, die wahrscheinlich an die Domänenkammer in Breslau, die sich u. a. mit jüdischen Angelegenheiten befasste, gerichtet war, in der angefragt wird, ob infolge der Förderung vom Handelswesen es nicht möglich wäre, Juden zu erlauben, länger in Dzierżoniów zu verbleiben. Obwohl die Erlaubnis nur temporär sein sollte, erhielt die Stadt eine Absage. Durch das Siedlungsverbot war selbst im Jahr 1800 kein Mensch jüdischen Glaubens in Dzierżoniów angemeldet.
Trotz der Verbote verweilten immer wieder jüdische Händler in der Stadt, da Dzierżoniów an einer wichtigen Handelsstraße lag. In der Chronik der Stadt werden jüdische Kaufleute sowie ein Diebstahl, bei dem eine große Summe Geld entwendet wurde, erwähnt. Am 5. April 1772 wurden dem griechischen Händler Pauli 5.300 Goldgulden im Gasthaus „Zum schwarzen Adler“ gestohlen. Verdächtigt wurden jüdische Kaufleute, die jedoch nach der Verhaftung und Durchsuchung von allen Beschuldigungen freigesprochen wurden.
Dzierżoniów befand sich nach 1742 unter preußischer Herrschaft. Im Umbruch vom 18. zum 19. Jahrhundert kam es in Preußen zu rechtlichen Veränderungen, die zur Erneuerung der jüdischen Gemeinden führten. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Akzeptanz der jüdischen Bevölkerung als Mitbewohner war das Emanzipationsedikt vom 11. März 1812. Auf Grundlage dieses Edikts wurden jüdischen Menschen Nachnamen, Rechte und Freiheiten verliehen, die gleich waren mit denen der christlichen Bevölkerung. Darunter befanden sich auch die Rechte Immobilien zu erwerben und verschiedene Berufe auszuüben. Am Anfang entstanden die Gemeinden in größeren Städten wie Breslau, später aber auch in kleineren Städten und Ortschaften.
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts handelten die Juden in Dzierżonów vorwiegend mit Wolle aus Großpolen, Masowien und Galizien. Zu dieser Zeit bildete die Textilindustrie die Grundlage der städtischen Wirtschaft, weswegen der Wollhandel eine führende Funktion in der Produktion einnahm. So war es Juden gestattet, in die Gaststätte „Zur Sonne“ am Stadttor einzukehren. Die Länge des Aufenthalts richtete sich nach der Zeit, die für die geschäftlichen Tätigkeiten unabdingbar war. Die Handelsvereinigungen wurden zunehmend wichtiger, weswegen sich bereits 1784 einige jüdische Menschen nahezu ständig in der Stadt aufhielten (mit Ausnahme jüdischer Feste). Sie hatten jedoch nicht das Recht auf einen ständigen Wohnsitz oder gar die Aufnahme in das städtische Bürgertum. Unter den Kaufleuten, die sich 1792 in der Stadt aufhielten, waren u. a.: David Isaak, Liebmann Meyer, Matthias Isaak (Cohn) und Isaak David, die allesamt aus Kalisz und Krotoszyn stammten. Sie waren es, die im Laufe der Zeit zur Gründung der jüdischen Gemeinde beitrugen und außerdem einen großen Beitrag für die Entwicklung der lokalen Textilindustrie und somit auch für die städtische Wirtschaft leisteten. Der jüdische Import von Wolle in der Stadt wird zur der Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhunderts auf ca. 6.000 Bel geschätzt.
Im Jahre 1809 wurden erneut die Namen Isaak David und Lippman Meyer in Dzierżoniów verzeichnet, die als Mittler bei dem Verkauf von Wolle aus Ostpreußen und dem Herzogtum Warschau tätig waren. Sie verweilten auf dem Gelände der Stadt, hatten jedoch kein ständiges Aufenthaltsrecht. Ähnlich sah es auch bei folgenden Kaufleuten aus: Löbel David, Jakob Hersch, D. M. Auerbach aus Fordon sowie Beniamin Wolff aus Krotoszyn, der später den Namen Reibach übernahm. Auch Moses Salomon aus Uraz, der sich mit dem Umtausch von Währungen und Wertpapieren beschäftigte, kam nach Dzierżoniów. Ein Jahr später, 1810, versuchte Simon Kremser, Zulieferer aus Ziębice, ohne Erfolg die Aufenthaltserlaubnis zu erlangen. Da es Juden nicht erlaubt war in der Stadt zu leben, ist vor allem eine Anmerkung des Chronisten August Sadebeck interessant. Sadebeck schreibt über eine Jüdin aus Breslau, die zum Christentum konvertierte und am 1. September 1799 in einer Kirche in Dzierżoniów von Pastor Fuller getauft wurde. Diese Frau heiratete später einen Chirurgen aus Borek Strzeliński. Wahrscheinlich ermöglichte ihr die Konversion sowie die Heirat mit einem Protestanten die für jüdische Menschen schwierige gesellschaftliche Anerkennung.
Im Mai 1811 kaufte die jüdische Gemeinschaft die leeren Gebäude der Komturei des Malteserordens mitsamt Garten. Der Komplex wurde für eine Synagoge (!), eine Weberei, eine Druckerei sowie ein Lager bestimmt.
Erst ab 1816 kann man von einer staatlich anerkannten jüdischen Ansiedlung in der Stadt sprechen. Anfangs siedelten sich vor allem Juden an, die über ein Bleiberecht in anderen Städten verfügten, wie bspw. Isaak Naphthali, der Sohn des Lehrers Isaak Naphthali. Er erhielt die Bürgerschaft in Breslau am 8. März 1813, woraufhin er am 13. Januar 1816 auch die Erlaubnis erhielt, sich in Dzierżoniów mit seiner Familie niederzulassen[1.2]. Ab 1817 konnten sich auch Abraham Dawid Hirsch aus Posen, Levy Naphtali [1.3] sowie Lippman Reichenbach (vorher Lippmann Meyer) sowie Wolf Reinbach (vorher Benjamin Wolff) in Dzierżoniów niederlassen. Im nächsten Jahr folgten folgende Personen ihrem Beispiel: Baruch Neulander, Berel Nehemias, Abraham Stern, David Stern z Wrocławia sowie Salomon Heller[1.4]. Die jüdische Gemeinschaft vergrößerte sich 1819 um den Schnapsbrenner Isaak Lax und seine Familie[1.5]. Bis 1820 fehlen neue Einträge, doch ein Jahr darauf erhielt auch Pinkus Baad mit seiner Familie das Aufenthaltsrecht[1.1.5]. Ferner wird Mathias Isaak Cohn genannt, der bereits seit über 20 Jahren in Dzierżoniów lebte[1.6].
Laut den städtischen Statistiken aus dem Jahre 1816 lebten im Stadtgebiet 376 jüdische Menschen mit und 7 ohne Bürgerrecht. In Anbetracht ihrer Verdienste erhielten die Juden die preußische Staatsangehörigkeit, und damit auch das Aufenthaltsrecht in Dzierżoniów. Einer von ihnen war der bereits erwähnte Matthias Isaak Cohn (vorher Mathias Isaak), Sohn von Isaak Cohn. Er erhielt seine Bürgerrechte 1826 dank der Empfehlung des Stadtmagistrats. Eine ähnliche Ehre wurde 1835 auch Lippmann Meyer zuteil, der 1791 als Nathan Neta ben Lippmann Heilprin geboren wurde. Er nahm später den Namen Reichenbach an, welcher vom deutschen Namen der Stadt Dzierżonów abstammte. Im Jahr 1825 gab es in der Stadt 18, 1835 wiederum 45 jüdische Menschen, die unweit des Marktplatzes und in den Hauptstraßen lebten und ab 1816 nicht mehr gezwungen wurden, in eigens für sie bestimmten Stadtteilen zu wohnen.
Als formeller Begründer der Gemeinde in Dzierżoniów wird der seit 1816 in der Stadt lebende Isaak Naphtali genannt. Im Jahr 1817 wurden er, Isaak Cohn, Lippmann Reichenbach, Wolf Reinbach sowie Abraham David Hirsch gezwungen, ein Grundstück für Begräbnisse zu erwerben. Ein ähnlicher Fall ereignete sich ein Jahr später, als der Stoff- und Kleidungshändler Abraham Stern ein Grundstück erwarb, welches als Friedhof genutzt werden sollte. Leider ist es heute nicht mehr möglich, ihre Sicht der Dinge oder den von ihnen angestrebten Verwendungszweck zu ermitteln. Seit 16. Mai 1825 wird in den städtischen Akten ein Ort für die Bestattungen der jüdischen Ortsansässigen erwähnt, doch erst der Chronist August Sadebeck spricht explizit von einem Feld hinter den städtischen Ställen. Der jüdische Historiker Bernhard Brilling datiert die Entstehung des Friedhofs hinter dem Breslauer Tor auf das Jahr 1826[1.7]. Es ist nahezu sicher, dass dies derselbe Friedhof ist, der bis heute an der ul. Bielawska erhalten ist.
Interessant ist die berufliche Struktur der damaligen jüdischen Gemeinschaft. Zwar gewährte ihnen das Emanzipationsedikt das Recht verschiedene Berufe auszuüben (mit Ausnahmen einiger Berufe im staatlichen und militärischem Dienst), doch die Struktur in der Gemeinde war sehr homogen. Es dominierten Berufe im Handelswesen, jedoch kamen im Laufe der Zeit auch neue Berufe hinzu wie Arzt, Apotheker und Lehrer.
Anfangs verlief das Gemeindeleben auf traditionelle Art und Weise mit Gebeten, Gottesdiensten und religiösen Studien, Veränderungen in Bevölkerung und Staat waren jedoch auch in der Gemeinde spürbar. In den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts kam es vielerorts zu prägnanten Konflikten zwischen traditionalistischen Gemeindemitgliedern und Befürwortenden der Haskala, der jüdischen Aufklärung, was sich sowohl in größeren als auch in kleineren Ortschaften bemerkbar machte. In Dzierżoniów kam es nach dem Rücktritt des Rabbiners Meyer Őlsner 1841 zu einer Spaltung der Gemeinde, an deren Spitze von nun an zwei Beamte standen. Die konservative Fraktion wurde von Abraham Breslauer, der in den Jahren 1841-1852 im Amt war, angeführt. In der lokalen Presse von 1851 wird der Rabbiner Grunfeld, der ein Gebet für den König zelebrierte, als weiterer Konservativer genannt. Ein liberaler Rabbiner und Lehrer war wiederum Heinrich Schwarz aus Rawicz in den Jahren 1841-1859. Als Befürworter der Haskala führte er – ähnlich wie in ganz Deutschland – das Deutsche als Sprache für religiöse Praktiken und Bildung ein. Ferner begann er mit Predigten auf Deutsch, die sich nach christlichen Predigten richteten. Heinrich Schwarz gab 1854 das liberale Gebetsbuch in deutscher Sprache heraus, welches eigens für die Gemeinde in Dzierżoniów verfasst worden war. Das Buch erhielt den Titel: „Dibbrei Schir. Psalmem für den öffentlichen Gottesdienst zunächst für die Israelische Gemeinde zu Reichenbach i. Schlesien“. Auch in der lokalen Presse wurde der Konflikt innerhalb der jüdischen Gemeinschaft beschrieben. So werden in Zusammenhang mit dem Geburtstag des Königs in den Jahren 1851-1852 Feierlichkeiten in beiden Synagogen erwähnt, sowohl in der alten als auch in der neuen. Der Konflikt betraf jedoch nur eine kleine Gemeinschaft, die im Jahr 1852 lediglich 98 Mitglieder zählte, davon 32 Männer, die über sie entschieden[1.8]. Mit der Zeit wurden die Spannungen aber schwächer und am 27. März 1853 kam es zu einem Treffen der Vertreter beider Seiten, woraufhin einen Tag später zum letzten Mal in der sog. alten Synagoge Gebete gesprochen wurden. Am 9. Oktober 1859 wurde Moritz Cohn aus Rawicz anstelle von Heinrich Schwarz als Kantor und Beauftragter für religiösen Kult in der erneut vereinten Gemeinde eingestellt.
Seit 1847 war die Gemeinde in Dzierżoniów aufgrund der geringen Zahl von Mitgliedern eine Filialgemeinde der Synagoge von Świdnica, zu der auch die Landkreise Świdnica, Strzegom, Wałbrzych und Niemcza gehörten. Laut Volkszählung gab es 1830 in der Stadt 45 jüdische Menschen (1,06% der Gesamtbevölkerung), 1840 - 52, 1844 - 59 (1,15%). Erst ein Zuwachs von Mitgliedern sowie die Festlegung eines Statuts gaben der Gemeinde die Möglichkeit, unabhängig zu werden. Formell konstituierte sich die Gemeinde in Dzierżoniów im Jahre 1834 und erhielt 1847 wiederum ein von der Regierung bestätigtes Statut[1.9].
Im 19. Jahrhundert waren prostaatliche Haltungen unter der jüdischen Einwohnerschaft der Stadt immer prägnanter, was einer allgemeinen Tendenz entsprach. Die schlesischen Rabbiner lobten die Freiwilligen in der preußischen Armee und deuteten die Haltung sogar als bürgerliche Pflicht. Löbel Naphtali trat bspw. noch bevor er einer der Oberhäupter der Dzierżoniower Gemeinde wurde, 1813 (während des Sechsten Koalitionskrieges) dem 9. Regiment der Landwehr bei. In der preußischen Armee dienten später auch andere jüdische Bewohner von Dzierżoniów, u. a. die Kaufleute Baruch Neuländer sowie Abraham David Hersch aus Twardogóra (1817), Abraham Stern (1818), Salomon Hellen aus Breslau (1818) und der Schnapsbrenner Joseph ben Hirschel Lax aus Kluczbork (1821) sowie Itzig Lax, der am 15. Oktober 1842 in Frankfurt an der Oder bestattet wurde. Der Sohn des Rabbiners Moritz Cohn, Julius, kam am 6. August 1870 während des deutsch-französischen Krieges bei Worth ums Leben.
Das Emanzipationsedikt von 1812 eröffnete den jüdischen Jugendlichen den Weg zum staatlichen Schulwesen. Jüdische Kinder konnten wie alle anderen öffentliche Schulen besuchen. So gingen im Jahr 1855 jüdische Kinder in die städtische evangelische Schule und nahmen zugleich am jüdischen Religionsunterricht teil, der anfangs vom amtierenden Rabbiner geleitet wurde. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde ein gewisser Biberstein als Lehrer eingestellt, der die allgemeinbildende jüdische Schule leiten sollte. Die jüdischen Jungen aus Dzierżoniów und Umgebung waren in der in 1868 eröffneten König-Wilhelm-Schule eingeschrieben, die sechs Klassen hatte und sich in der heutigen ul. Piłsudskiego befand. Die jüdischen Mädchen wiederum besuchten die Schule für Mädchen und die Pension von Bertha Ritter.
Mit dem Ziel, die eigenen Kinder auszubilden, fing die jüdische Gemeinschaft in Dzierżoniów an, sich um den Bau einer eigenen Schule zu bemühen. Im Jahr 1868 formulierten Meyer Wartenberg und Heymann Cohn, Vertreter der Kommission für Immobilien und der Verwaltung der Gemeinde, einen Brief an die Stadtverwaltung mit der Bitte, eine Schule für jüdische Kinder bauen zu dürfen. Die Bitte wurde von den städtischen Beamten jedoch abgelehnt. Da jedoch die Gemeinde in der Zwischenzeit ein Grundstück für diesen Zweck erwarb, schlugen die städtischen Ratsherren vor, eine Synagoge zu errichten, in der es sowohl einen Unterrichtsraum als auch eine Wohnung für den Lehrer geben würde[1.10]. Die Idee konnte 1875 realisiert werden. Wie man sieht bedeutete die Tatsache, dass es kein Schulgebäude gab, nicht zwangsläufig, dass kein jüdisches Schulwesen zustande kam. Bis zu den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts wurden die Kinder wahrscheinlich in der Wohnung des Rabbiners oder in der Synagoge unterrichtet.
Die assimilierte, wohlhabende und bedeutende jüdische Gemeinde Dzierżonióws nahm an diversen staatlichen und christlichen Feierlichkeiten teil. Als Beispiel für die Koexistenz von Vertretenden verschiedener Glaubensrichtungen kann an dieser Stelle der 700-jährige Jahrestag der Erbauung der Georgskirche im Jahre 1859 angeführt werden. Die jüdische Bevölkerung dekorierte ihre Häuser und Wohnungen, womit sie laut der Lokalpresse ein schönes Zeugnis der Assimilierung und des friedlichen Zusammenlebens erbrachte. Auch wurden in der Synagoge, ähnlich wie in den hiesigen Kirchen, wichtige Jahrestage des deutschen Staates gefeiert. Im 19. Jahrhundert, einer Zeit des Wohlstands und des Wohlergehens, waren Jahrestage und Jubiläen die wichtigsten Ereignisse im Leben der Gemeinschaft, die gewissenhaft in der Stadtchronik notiert wurden. Sie waren ein Anzeichen sowohl für gesellschaftliche Akzeptanz als auch für ein persönliches Zusammenleben der Menschen.
Für die jüdische Gemeinschaft war die Einführung eines neuen städtischen Statuts am 1. Januar 1875 von großer Bedeutung, da es die neuen Bürgerrechte definierte. Die neuen Regelungen berechtigten jeden eigenständigen Mann, der mindestens 24 Jahre alt war, sich in der Stadt für mindestens ein Jahr niederzulassen, wobei alle Steuern gezahlt werden mussten, um aktiv und passiv an Wahlen teilnehmen zu können. Ähnlich wie in Breslau, wo seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Juden im Stadtrat saßen und sogar zu Vorsitzenden gewählt wurden, konnten sie auch in Dzierżoniów über einige Zeit in der Verwaltung arbeiten. Dank des großen Wohlstands und der „Klassenordnung“ bei Wahlen war es für sie möglich, städtische Posten zu erhalten. Öffentliche Ämter übten im 19. Jahrhundert u. a. folgende Personen aus: Michaelis Moser, der Kaufmann Heymann Cohn sowie Max Herrnstadt, der sowohl Ratsherr als auch Sanitärarzt war. Ferner wurde in Dzierżoniów die Einwanderungsgebühr von 18 Mark, die von allen Zuwanderern erhoben wurde, in eine Gebühr für die Erlangung der Bürgerrechte umgewandelt.
Die jüdische Gemeinschaft der Stadt war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlenmäßig am größten. 1871 lebten in Dzierżoniów 185 jüdische Menschen. Innerhalb der jüdischen Gemeinde, die auch die Landkreise Dzierżoniów und Niemcza (mit Dzierżoniów, Bielawa, Niemcza und Piława) umfasste, lebten insgesamt 257 Angehörige jüdischen Glaubens. Die nächste Volkszählung von 1880 deutete auf einen Rückgang der jüdischen Bevölkerung hin, und zwar in der Stadt auf 155 Menschen, in den weiteren Ortschaften auf 14 Personen. Grund dafür war Auswanderung in größere Städte, u. a. Breslau. Im ganzen Landkreis Dzierżoniów lebten laut der Zählung von 1890 wieder 155 jüdische Menschen, im Landkreis Niemcza - 13. Zehn Jahre später fiel diese Zahl für beide Landkreise auf 118, 1910 auf nur noch 99. Dies hing zusammen mit der Auswanderung in die USA, nach Westeuropa oder in andere größere Städte im Land.
Die relativ stabile Lage der jüdischen Gemeinschaft in der Stadt überdauert bis zum Ersten Weltkrieg. Die assimilierte jüdische Bevölkerung wurde wie auch alle anderen Bürger von der Kriegseuphorie 1914 mitgerissen. Unter den ins Militär eingezogenen Juden befand sich der Sohn von Aleksander Fleischer - Ernst, der Major war[1.11] sowie der Sohn von Ludwig Danziger, Willy, der am 1. Mai 1917 sein Leben an der Front ließ[1.12]. Neben ihm verloren folgende Juden ihr Leben im Namen des Vaterlands: Siegfried Weiß (verst. 1914 in Sassey) sowie Bruno Wolff (verst. 1915 in Łowicz)[1.13]. Dem Ersten Weltkrieg folgte ein weiterer Rückgang in der jüdischen Bevölkerung in Niederschlesien. Unterernährung, Krankheiten und Kriegsverlusten fielen 10% der Bevölkerung in Breslau zum Opfer, darunter auch jüdische Menschen. Laut der Volkszählung von 1925 gehörten der Gemeinde in Dzierżoniów nur noch 92 Personen an. Die Wirtschaftskrise sowie die politische Situation führten in den Folgejahren zu einem weiteren Rückgang in der Bevölkerungszahl. In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts betrug die Zahl der jüdischen Menschen nur noch 71, in beiden Landkreisen (Dzierżoniów und Niemcza) nur noch 80.
Nach Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 fand in Dzierżoniów ein „Siegesmarsch“ statt, an dem rund 1.000 SA-Männer teilnahmen, was im „Schlesischen NS-Beobachter“, einem Presseorgan der NSDAP, vermerkt wurde. Bereits im März 1933 begann nach den von der NSDAP gewonnenen Wahlen die Gleichschaltung des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in der Stadt. Unter anderem wurde die heutige ul. Miodowa, die damals Judengasse hieß, in die Georgstraße umbenannt. Die Mitglieder der kleinen Gemeinde wurden verfolgt. In der Stadt lebten zu dieser Zeit 67 jüdische Menschen und im Landkreis Dzierżoniów (der 1932 um den Landkreis Niemcza vergrößert worden ist) 80 Personen jüdischer Abstammung. In der jüdischen Gemeinde gab es 28 reale Mitglieder (praktizierende Männer), darunter aus Dzierżoniów 17, Bielawa 9 und Niemcza 2. Die Repressionen bewirkten anfangs eine große Auswanderungswelle aus der Stadt nach Palästina, Westeuropa sowie nach Nordamerika. Dieses Phänomen verstärkte sich im Verlauf der Zeit sowie mit dem Anstieg der Brutalität bei antisemitischen Vorfällen. Bereits am 1. April 1933 wurde ein Boykott gegen jüdische Geschäfte und Firmen verhängt. Die Aktion brachte aber nicht die erhofften Resultate denn die jüdische Bevölkerung war weiterhin im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben Deutschlands präsent. Allerdings sollte ihr Status durch die Nürnberger Gesetze, das Reichsbürgergesetz sowie das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. April 1935 geregelt werden. Auf Grundlage dieser Verordnungen wurden die antisemitischen Repressionen nun rechtlich konstituiert und erweitert. Im November 1935 wurde jüdischen Menschen die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen. Ferner wurde es ihnen verboten, Besitz zu haben und die meisten der gängigen Berufe auszuüben.
Die Repressionen verschärften sich ein weiteres Mal nach den Novemberpogromen der sog. „Reichskristallnacht“ am 9./10. November 1938. In der Presse wurden zahlreiche bissige Artikel verfasst, in denen der ermordete von Rath als Personifizierung der deutschen Tugenden gepriesen wurde während der jüdischen Bevölkerung wiederum die Rolle der Saboteure gegen den deutschen Staat und gegen das deutsche Volk zugeschoben wurde[1.14]. Das Pogrom war gut geplant und vorbereitet. An den Ereignissen nahmen neben organisierten und bewaffneten Gruppen von NSDAP-Mitgliedern auch andere Menschen teil, die im Laufe der Nacht dazu stießen, antisemitische Vorurteile hegten und anfällig für die nationalsozialistische Indoktrination waren. Im Vergleich zu Świdnica, Kłodzko und Breslau, wo Synagogen niedergebrannt und Privatwohnungen demoliert wurden, scheinen die Ereignisse in Dzierżoniów weniger radikal gewesen zu sein. Es wurden Geschäfte und die Synagoge demoliert, außerdem Fenster eingeschlagen. Es kam auch zu zahlreichen Verhaftungen innerhalb der jüdischen Gemeinde. Ein Beispiel für die Schicksale der jüdischen Bevölkerung Dzierżonióws ist das Beispiel des Prokuristen Franz Kantorowicz, der nach seiner Verhaftung ins KZ Buchenwald deportiert wurde, wo man ihn bis 8. Dezember 1938 festhielt. Nach seiner Entlassung gelang es ihm, mit seiner Familie nach Großbritannien zu flüchten[1.15]. Ein weiteres tragisches Ereignis, welches den Terror der damaligen Zeit widerspiegelt, war der Mord am Fabrikbesitzer und Händler Julius Beer[1.16].
Eine weitere Repression stellte eine Anordnung vom August 1938 dar, derzufolge alle jüdischen Menschen einen zweiten Namen annehmen mussten, welcher auf ihre Herkunft deuten sollte. Die Auswirkung dieses Gesetzes sieht man u. a. in den Todesstatistiken der Stadt Dzierżoniów. Dort wurde u. a. der Tod von Sigismund Izrael Karlsberg verzeichnet, der in Frankreich geboren wurde und vor dem Ersten Weltkrieg der Rabbiner der Gemeinde war[1.17].
Unmittelbar nach den Novemberpogromen wurde die sog. „Arisierung“ des Besitzes der jüdischen Bevölkerung in der Stadt durchgeführt. Im Dezember 1938 betraf dies z. B. den Betrieb Weyl & Nassau, der von Edgar Fletscher übernommen wurde[1.18]. Ähnlich war es auch im Falle des Betriebs von Willy und Ernst Fleischer „A. Fleischer G.m.b.H.“ und der Fabrik Cohn Gebrüde G.m.b.H. Den Betrieb „A. Fleischer G.m.b.H.“ übernahmen die Brüder Günther und Gerhard Jordan aus Drogosław bei Nowa Ruda für 225 Tsd. Mark. An diesem Beispiel wird die Brutalität der sog. „Arisierung“ des Besitzes deutlich. Im November 1938 wurden Ernst Fleischer und sein Sohn Hans verhaftet und im Stadtgefängnis festgesetzt. Die zusammengeschlagenen und verängstigten Männer unterschrieben ein Dokument, mit dem sie einwilligten, ihre Firma „günstig“ (2 Mio. Mark) zu verkaufen[1.19]. In der lokalen Presse schrieb man euphemistisch über eine geplante „Entjudung“ der deutschen Wirtschaft[1.20].
Darüber hinaus mussten ab dem 12. November 1938 jüdische Menschen eine sog. Judenbuße entrichten, die später in die sog. Judenvermögensabgabe umgewandelt wurde. Alle Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft, deren Vermögen mindestens 5.000 Mark betrug, waren zur Zahlung verpflichtet. In Dzierżonów betraf dies 33 Personen. Sie alle mussten die Abgabe in strikt festgelegten Fristen beim Finanzamt entrichten. Die Summe sowie die Raten wurden im Vorhinein festgelegt. Unter dem Druck der nationalsozialistischen Repressionen wanderten einige jüdische Menschen aus dem Reich aus, was ihnen in aller Wahrscheinlichkeit das Leben rettete. Ziele der Auswanderung waren unter anderem folgende Länder: Großbritannien, Palästina, Paraguay, Brasilien, USA sowie China.
Die Volkszählung vom 17. Mai 1939 gibt die Zahl von 25 sog. „Volljuden“ an, darunter 15 Männer und 10 Frauen, die in Dzierżoniów lebten. Neben dieser Gruppe gab es noch die Gruppe der sog. Einwohner der 1. und 2. Stufe, welche infolge der Nürnberger Gesetze geschaffen wurde. Die Größe dieser Gruppe während der Volkszählung betrug 29 Personen, darunter „halbe Juden“ (zwei jüdische Großväter o. Großmütter) sowie 13 „Vierteljuden“ (ein jüdischer Großvater oder eine Großmutter).
Der Selbstmord von Felix Izrael Danzinger am 11. Mai 1939, Anfang der 30er Jahre ein Gemeindeoberhaupt, steht sinnbildlich für die schwierige Situation zur damaligen Zeit [1.21]. Für die gedemütigten und entschlossenen jüdischen Menschen, die nirgendwohin auswandern konnten, war dies manchmal der einzige Ausweg.
Die Besitztümer der jüdischen Gemeinde wurden vom Staat beschlagnahmt, die Synagoge und der jüdische Friedhof wiederum gingen in den Besitz des deutschen Friedhofsverwalters Konrad Springer über und blieben beinahe unberührt bis zum Ende des Zweien Weltkriegs erhalten. So viel Glück hatten die Mitglieder der Gemeinde nicht. Im Jahre 1940 begannen die ersten Deportationen der niederschlesischen Juden in das polnische Gebiet. Seit 1. Juli 1941 waren jüdische Menschen gezwungen, einen gelben Davidstern auf schwarzem Hintergrund an ihrer Kleidung zu tragen. Seit 1. September 1941 war es ihnen ferner nicht gestattet, ihren Wohnort zu verlassen.
Ein wichtiges Element bei der Vorbereitung der Auslöschung der jüdischen Bevölkerung in Niederschlesien war die Umsiedlung der Einwohnerschaft kleinerer Orte nach Breslau, wo sich das Ghetto auf dem Gebiet zwischen der heutigen ul. Włodkowica und der ul. Sądowa befand. Manche der älteren Personen wurden aus Breslau in temporäre Lager in Rybna und Krzeszów deportiert. In den Dokumenten aus diesem Lagern tauchen auch Personen auf, die in Dzierżoniów geboren wurden.
Zeitgleich zu den Plänen über die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung wurde auch über die Übernahme ihrer Besitztümer nachgedacht. Alles, was einen Wert hatte, wurde in Augenschein genommen und geschätzt, darunter Bankkonten, Gläubigeransprüche, Schulden und Immobilien. Die verarmten und verängstigten jüdischen Menschen wurden dazu gezwungen, Formulare über ihre Besitztümer auszufüllen, in denen sie das bereits reduzierte Eigentum beschrieben, darunter Möbel, Geschirr und Kleidung.
Nachdem die jüdische Bevölkerung an einem Ort konzentriert wurde, begannen die Deutschen mit ihrer Ermordung. Die jüdischen Menschen des Regierungsbezirks Breslau, darunter auch einige aus Dzierżoniów, wurden 1941-1944 in Massentransporten in verschiedene Konzentrations- und Todeslager deportiert. Vom Güterbahnhof Breslau Ost fuhren die Transporte in Richtung der Ghettos in Kaunas, Theresienstadt und Lodz sowie in das Distrikt Lublin und in die Todeslager Sobibor, Belzec, Treblinka und Auschwitz-Birkenau.
Ein kurzes, aber sehr tragisches Kapitel in der komplizierten Geschichte der jüdischen Gemeinschaft von Dzierżoniów war das Arbeitslager, welches hier in den Jahren 1944-1945 in Betrieb war. In der Stadt selbst gab es das Arbeitslager Reichenbach. Daneben gab es in Bielawa und den umliegenden Ortschaften weitere Arbeitslager, in denen die Häftlinge – darunter Juden und Jüdinnen – in Rüstungsbetrieben sowie beim Bau von Luftschutzbunkern und Wohnungen arbeiteten. Bis heute sind nur wenige Spuren von diesen Lagern erhalten geblieben. Jedoch gibt es im sog. Pieszycki-Wald ein Denkmal zum Gedenken an die Häftlinge aus den Lagern, die entweder direkt ermordet wurden oder an Krankheiten oder Hunger starben.
Das letzte Kapitel der Geschichte der jüdischen Bevölkerung der Stadt ist die Nachkriegszeit. Bereits im Juli 1945 formten sich Strukturen und Organisationen der jüdischen Überlebenden, die die Population aus der Vorkriegszeit sichtlich überstiegen (anfangs waren es 1.200 Menschen). Dzierżoniów war in den Jahren 1945-1950 ein dynamische Zentrum der jüdischen Minderheit. Die jüdische Besiedlung in Niederschlesien war sowohl das Ergebnis einer spontanen Migration als auch eines Konzepts der damaligen Machthaber. 1946 betrug die jüdische Minderheit in Dzierżoniów fast 12 Tsd. Menschen, im Oktober 1946 waren es bereits 17,6 Tsd. In die Stadt kamen überwiegend Repatriierte aus der UdSSR sowie jüdische Menschen aus den polnischen Gebieten. Da die Stadt für kurze Zeit zum Zentrum des jüdischen Lebens wurde, wurde es boshaft als „Judenhausen“ bezeichnet. Die Neuankömmlinge wurden in den Industriebetrieben, im Gesundheitswesen, bei der Bürgermiliz, der Verwaltung, im Sicherheitsamt oder in Gefängnissen angestellt. In der Stadt gab es 16 jüdische Genossenschaften, darunter für Schneider, Schuster, Frisöre oder Elektriker. Ein Teil der jüdischen Repatriierten arbeitete in der Landwirtschaft. Laut offiziellen Angaben gab es bis Juli 1945 bereits 28 Werkstätten und 5 landwirtschaftliche Betriebe, im September waren es bereits 127 Arbeitsstellen. Um die Einwanderung in Niederschlesien zu kontrollieren, kamen am 17. Juni 1945 Vertreter aller niederschlesischen jüdischen Komitees in die Stadt, woraufhin ein jüdisches Woiwodschaftskomitee unter der Leitung von Jakub Egit ins Leben gerufen wurde. Der Sitz des Komitees befand sich in der ul. Krasickiego 23, gegenüber der erhaltenen Synagoge. Dzierżoniów war in den sog. Wiedererlangten Gebieten Zentrum des jüdischen Lebens bis April 1946 als das Komitee nach Breslau verlagert wurde.
Der Errichtung des Staates Israel, die politischen Veränderungen in Polen sowie die Unterstellung aller Bildungs- und Kulturinstitutionen der kommunistischen Partei führten zu einer Auswanderungswelle, womit auch die Zahl der jüdischen Menschen sank. Bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1949 betrug ihre Zahl nur noch 5.680. Im Folgejahr wollten weitere 3.730 jüdische Menschen auswandern, was 28% der Gesamtbevölkerung ausmachte.
Infolge der antisemitischen Kampagne aus den Jahren 1967-1968 vergrößerte sich die Zahl der Auswandernden. Jüdische Menschen wurden gedemütigt und verloren ihre Arbeit, weswegen sie sich als Staatsangehörige 2. Klasse für ein Leben in Israel, Kanada, USA, Australien oder Skandinavien entschieden. Für eine gewisse Zeit wurde auch die Sozial-Kulturelle Gesellschaft der Juden in Polen geschlossen, wenngleich sie später ihre Arbeit wieder aufnahm. Eine kleine jüdische Gemeinde in der Stadt existiert bis heute und bildet ein weiteres Kapitel in der Geschichte jüdischen Lebens in Dzierżoniów. Die jüdischen Menschen, die heute in der Stadt leben, erfuhren offenem Antisemitismus und Gleichgültigkeit. Heute erleben sie ein stetig steigendes Interesse an ihrer Kultur und ihrer Geschichte, was u. a. bei der Organisation der Woche der Jüdischen Kultur deutlich wird.