In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand nördlich der Stawki-Straße ein großer Nebengleiskomplex, der die damalige Station Warszawa Nadwiślańska (später Warszawa Gdańska) bediente. In der Zwischenkriegszeit (1918-1939) nutzten vor allem die Städtischen Warschauer Versorgungsbetriebe die Gleise. Während des Zweiten Weltkriegs wurde dieser Ort von den Deutschen, die ihn Umschlagplatz[1.1] nannten, zur Konzentration der Juden aus dem Warschauer Ghetto vor ihrer Deportation in das Vernichtungslager Treblinka benutzt.

Zwischen dem 22. Juli und 21. September 1942 wurden auf dem von Mauern umgebenen Platz Tausende Menschen zusammengedrängt und zu stundenlangem Warten auf die entsprechende Zahl an Menschen, die den Transport füllen würden, gezwungen. Nachdem am Umschlagplatz eine entsprechende Anzahl an Menschen gesammelt wurde, zwangen die SS-Männer mit der Unterstützung jüdischer Polizisten auf brutale Art und Weise die Menschen, die Güterwagen zu besteigen. Die kleinsten Anzeichen von Widerstand oder Nachlässigkeit wurden mit dem Tode bestraft. Für die Deutschen war jeder Zentimeter kostbar, weswegen die Menschen mit Gewehrkolben hineingedrängt wurden. Die von Wachmännern bewachten Züge mit den erschöpften Häftlingen fuhren über Wołomin, Tłuszcz und Małkinia nach Treblinka. Auf den Eisenbahnrampen blieben die Leichen jener Menschen zurück, die beim Aufladen erschossen wurden. Beinahe jeden Tag schickten die Deutschen Tausende Menschen vom Umschlagplatz in den Tod. Insgesamt wurden vom Umschlagplatz ca. 320 Tsd. Juden aus dem Warschauer Ghetto deportiert.

Eine der Personen, die über den Umschlagplatz gingen, war Zygmunt Nissenbaum (1926-2001), der Gründer der Nissenbaum-Stiftung. In seinem Buch Ratowanie śladów kultury żydowskiej w Polsce. Żywym i umarłym beschrieb er die Deportation seiner Familie vom Umschlagplatz in folgenden Worten:

„Sie stellten uns mit gehobenen Händen auf, zusammen mit allen anderen, die im Haus gefangen wurden (...) dann jagten sie uns zum Umschlagplatz. Wir führten ein verletztes Mädchen an der Hand. (...) Auf dem Umschlagplatz wurde uns befohlen, alle Wertgegenstände abzugeben, womit die uns wohlbekannte Durchsuchung mit der Erschießung an Ort und Stelle begann (...) Sie brachten das verletzte Mädchen um, es stand neben mir. Sie fiel vor Erschöpfung um und dann kam ein SS-Mann, zielte auf ihren Kopf und schoss. Der Schuss riss ein ganzes Stück Erde raus, doch sie lebte noch, bewegte ihre Hand, stöhnte. So kam ein zweiter und schoss auf die gleiche Weise. Ich war damals fast 16 Jahre alt und hatte bereits viele Grausamkeiten gesehen, aber diesen Anblick habe ich immer noch vor Augen. Sie ladeten uns in Waggons mit vernagelten Fenstern ein, die mit Chlor desinfiziert wurden. Sie schlugen uns mit Gewehrkolben, damit die Menschen vor Angst zusammenrückten und somit mehr Menschen reinpassen würden. Daraufhin stopften sie noch die Kinder über unsere Köpfe. In diesem geschlossenen Waggon hielten sie uns einen Tag gefangen. Es war nämlich der letzte Transport und es wurden noch Menschen im Ghetto gejagt. Unter diesen unglaublich schrecklichen Bedingungen fuhren wir drei Tage nach Treblinka. Es war heiß, wir alle erstickten förmlich. Die Menschen starben im Stehen, sie kamen vor Durst und Hunger um.”[1.2].

Auch Ludwik Hirszfeld gab ein Zeugnis über die Ereignisse vom Umschlagplatz ab:

„Das Krankenhaus in Stawki- Straße, in dem die auf der Straße festgenommenen Menschen festgehalten wurden, war ein Ort, der der Hölle von Dante ähnelte. Der Zugang wurde vom Ordnungsdienst abgesperrt. Vor dem Gebäude stehen Menschenmassen, die die Namen ihrer Liebsten schreien, in den Fenstern hingegen die verzweifelten und vor Angst verrückten Entführten. Schon zwischen den Beamten des Ordnungsdienstes liegen all jene, für die es keinen Platz mehr gab. Im Gebäude selbst liegen auf dem Boden, im Treppenhaus und den Fluren Menschen. Die Nutzung einer Toilette ist unmöglich, man darf den Saal nicht verlassen. Sie liegen also in einer Reihe in ihren Extrementen. Auf diese Art und Weise werden sie ohne einen Tropfen Wasser, ohne Lebensmittel, ohne Unterwäsche und ohne Zugang zur Toilette festgehalten. Die Anforderungen der Deutschen steigen - sie fordern nicht sieben, sondern zehn Tausend täglich. Zeitgleich beginnt die Bevölkerung sich zu klarzumachen, dass es nicht um die Umsiedlung, sondern um den Tod geht. Sie erfahren, dass behinderte und alte Menschen sofort am Friedhof erschossen und in einem Massengrab vergraben werden. Ein Teil wird in Waggons gezerrt, statt 40 sind es 100 Menschen. Die deutschen Soldaten meinen zwar, die Waggons würden nach Bobrujsk abfahren, aber die Nummern auf den Waggons wurden gezählt und man stellte fest, dass sie nach sechs Stunden wieder zurückkehren würden. Sie fuhren also nur nach Małkinia, wo sich in der Nähe das Vernichtungslager mit Gaskammern befindet”[1.3].

Im Jahre 1988 wurde am Umschlagplatz ein Denkmal enthüllt, welches von Hanna Szmalenberg und Władysław Klamerus entworfen wurde. Das Denkmal hat die Form von vier Wänden, die einen kleinen Platz umgeben. Er erinnert an einen Eisenbahnwaggon oder das Tor zum Umschlagplatz. In der Mitte befindet sich der Eingang, auf dem sich eine Mazewa aus schwedischem Syenit befindet. Auf der gegenüberliegenden Seite sieht man eine rissige Wand, auf der 400 jüdische Namen in alphabetischer Reihenfolge eingehauen wurden. Auf der Wand befindet sich ferner folgende Aufschrift in polnischer, jiddischer, englischer und hebräischer Sprache: „Über diesen Pfad des Leidens und des Todes wurden zwischen 1942 und 1943 mehr als 300.000 Juden aus dem Warschauer Ghetto in die Gaskammern der Nazi-Vernichtungslager getrieben”[1.4].

Die Mauern wurden ursprünglich aus dem Marmor „Weiße Marianna” erbaut. Im Jahre 2007 wurde das Denkmal unter der Leitung des Architekten Jan Beyga renoviert. Das gegen Witterungsbedingungen empfindliche Marmor wurde durch niederschlesisches Granit aus Zimnik ersetzt.

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Fußnoten
  • [1.1] Teil einer Bahnstation, die für die Verladung von Waren aus Waggons in andere Transportmittel und umgekehrt genutzt wird. Stationen, an denen Waren umgeladen werden, sollten über einen Umschlagplatz, eine Laderampe sowie ein Lagerhaus verfügen - Anm. Red.
  • [1.2] Nissenbaum Z. (Red.), Ratowanie śladów kultury żydowskiej w Polsce. Żywym i umarłym, Warszawa 1988.
  • [1.3] Świadectwo profesora Ludwika Hirszfelda, Zitat nach: Grzesik J., Zagłada Żydów 1939–1945, Warszawa 2006.
  • [1.4] Małkowska-Bieniek E., Śladami warszawskich Żydów, Warszawa 2008, S. 148.